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Hilfe kann weh tun

Wieso meinen eigentlich so viele andere – unter anderem Fremde, die mich überhaupt nicht kennen – Menschen wesentlich besser als ich selber zu wissen, was gut für MICH ist?

Wie bereits geschildert passe ich nicht in das Raster, in dem es sich die Masse so bequem einrichtet. Ich bin geistig zu beweglich für starre, steife, festgefahrene Das-macht-man-so-Strukturen. Es ist wie mit einem zu großen Stöpsel in einer zu kleinen Flasche: man bekommt ihn nicht rein. Sicher, man kann es mit Gewalt versuchen, aber selbst wenn man ihn mit Gewalt hineinbekommt: entweder die Flasche wird zerspringen, oder der Stöpsel zerbröselt, oder er schießt eben wieder raus. Drin bleiben und es sich bequem machen wird er mit Sicherheit nicht.

Und trotzdem versuchen es immer wieder irgendwelche Leutchen. Natürlich meinen sie es nur gut- mit sich selbst, aber Letzteres muß man ja nicht dazusagen.
Und so werde ich unter Androhung oder Anwendung von sogenannten Sanktionen immer wieder gezwungen, angebliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, die ich selber gar nicht will oder brauche. Die daraus besteht, zu versuchen, mich in dieses wesentlich zu enge Raster zu quetschen.

Ich habe Schuhgröße 43 (wolltet ihr sicher immer schon mal wissen, gelle?) Und selbst 43-er Schuhe passen mir nicht alle. Wo bitte liegt jetzt der Sinn darin, mir zu „helfen“ Schuhe der Größe 41 zu finden? Und mich dann zu zwingen, vor Dankbarkeit strahlend diese anzuziehen?
„Die passen mir nicht, ich habe Größe 43“
“43-er gibt es aber zur Zeit nicht. Stell dich nicht so an, zieh sie an. Irgendwie geht das schon. Nun mach!“
– versuche es – geht nicht. „Geht nicht, ich komme nicht rein“
“Das muß aber gehen. Wenn es so nicht geht, dann müssen wir eben etwas von Zehen oder Ferse abschneiden. Reinpassen tust du. So oder so.“

Also Zähne zusammengebissen und mit aller mir möglichen Anstrengung rein. Ja, es tut weh. Es tut tierisch weh. Aber Zehen oder Ferse abschneiden tut mindestens genau so weh. Und die Verstümmelung behalte ich lebenslänglich. Ihr habt gewonnen. Nur das dankbare Grinsen fällt ein wenig zu verzerrt aus.
Wirklich eine großartige Hilfe. Mehr darf ich nicht sagen, sonst kommt doch noch das Messer dran. Aber schreiben darf ich auch Anderes, hier in meinem blog.
Mit den viel zu engen Schuhen kann ich nicht mehr laufen, nicht einmal richtig gehen, nur noch mich irgendwie vorwärts schleppen. Wie die Fledermäuse in „meinem“ Mäusestaat.
Trotzdem habe ich auch beim vorwärts schleppen ständig Schmerzen.
Wenn ich es zu lange mache, werden sich meine Füße irgendwann total deformieren (ich weiß, das ist heutzutage „in“, aber diejenigen die es tun, tun es freiwillig. Ich stehe da nicht drauf.)
Und mit Sicherheit werde ich so schnell wie nur möglich versuchen, diese Schuhe los zu werden. Blöd nur, wenn man in einem riesigen Scherbenhaufen steht, dessen Ende nicht abzusehen ist. Zur Zeit wäge ich ab, welche Schmerzen schlimmer sind: die durch die viel zu engen Schuhe, oder jene beim Barfußlaufen über Scherben. Ich weiß es nicht.
Passende Schuhe gibt es nicht.
Weicher Boden kommt vielleicht irgendwann, ich weiß aber nicht wann und in welche Richtung ich dafür am Besten gehen sollte.

Gut, ich weiß, ich beherrsche auch das laterale Denken. Und besagt nicht ein bekannter Spruch: „Was nicht paßt, wird passend gemacht“?
Also brauche ich nur ein Messer oder einen ähnlichen scharfen Gegenstand, dann kann ich mir die Schuhe schon passend machen. Oh, sieh einer an: Wo stehe ich? In einem Scherbenhaufen? Und rein zufällig sind viele dieser Scherben spitz und scharf. Na, wer sagt’s denn? 🙂
Die gut meinenden Schuh-Reinzwinger werden mit Sicherheit nicht begeistert sein, aber das müssen sie auch nicht. Ich weiß, für sie bin ich undankbar, nichtsnutzig, zerstöre wertvolle Güter, mache mich der Sachbeschädigung strafbar (wen interessiert es schon, daß es nun meine Sachen sind?) und laufe dann wieder rum wie der „letzte Penner“ mit kaputten Schuhen. Sie haben es doch nur gut gemeint. Und sie werden niemals verstehen, daß es nur ein Akt des Selbstschutzes gepaart mit einer kleinen Dosis lateralen Denkens war, der mich zum Zerschneiden der wunderschönen, neuen aber viel zu engen Schuhe getrieben hat. Damit muß ich wohl leben. Sie können mir ja wieder ein neues Paar verpassen; Scherben liegen hier noch genug rum. Ja, ich bin undankbar und unverständig. Und stolz drauf.
Ratschläge sind auch Schläge.
Ich bin nicht da um die Erwartungen anderer Menschen zu erfüllen. Und sie sind nicht da, um meine Erwartungen zu erfüllen. Sollen sie auch nicht. Wenn sie es nicht können oder wollen, sollen sie mich einfach nur in Ruhe lassen.

Sicher kennt ihr das Märchen vom häßlichen jungen Entlein. Wie würde sich dieses Märchen anhören (oder anfühlen), wenn die anderen Entlein in der Jugendzeit, als dem Schwan seine schönen weißen Federn wuchsen, versucht hätten ihm diese immer wieder auszureißen, um ihn zu einer Ente zu machen. Jede weiße Feder die kommt wird herausgerissen, in der Hoffnung, die nächste wird eine Entenfeder. Er würde nie ein Schwan werden, das stimmt. Aber mit Sicherheit auch keine Ente. Er wäre ein Nichts, ein Nacktvogel ohne Identität und ohne Gleichartige. Er könnte nicht einmal herausfinden, was er hätte werden sollen. Nur Leid und Schmerz, hervorgerufen von gutmeinenden Anderen. Nein, so möchte ich das Märchen nicht hören.

So, das mußte dringend mal raus. Nach einer weiteren schlaflosen Nacht in der mein Kopf-Karussell dauerrotiert ist. Zwischen Depressionen, ohnmächtiger Wut und amoklaufenden Gedanken. Heute geht’s dann wieder zum Schuh-Anprobieren. Größe 41. Andere haben wir ja zur Zeit nicht.

Pinguin in der Wüste

Manchmal fühlt man sich in seiner Umgebung einfach fehl am Platz. Ob im Bekanntenkreis, der Nachbarschaft, manchmal sogar der eigenen Familie und ganz häufig im beruflichen Umfeld. Manche Mitmenschen merken es gar nicht. Andere, die es sehr wohl merken oder zumindest fühlen, versuchen verzweifelt sich anzupassen, sich selbst zu verbiegen, manchmal bis hin zur Selbstaufgabe, in der Hoffnung von dem entsprechenden Umfeld akzeptiert und anerkannt zu werden und dadurch auch dazuzugehören.
Nun spricht meiner Meinung nach nichts gegen ein gesundes Maß an (Ver)biegen. Ich bringe da ganz gerne das Beispiel mit dem Baum im Sturm an: Wenn es zu sehr stürmt, haben Bäume die sich im Sturm biegen wesentlich bessere Selbsterhaltungschancen als Bäume, welche sich starr gegen den Wind stemmen. Letztere können bei zu starkem Sturm durchaus brechen. Wenn der Sturm vorbei ist, wird sich jeder ‚vernünftige‘ Baum aber wieder aufrichten. In gebogener oder geduckter Haltung zu verharren hat außerhalb des Sturms keinen Sinn mehr, auch nicht präventiv für den Fall, daß irgendwann wieder ein neuer Sturm kommt. Menschen verhalten sich da leider oft konträr.

Zu den Anpassungsversuchen an die oft falsche Umgebung wurde ich neulich auf einen sehr interessanten Videobeitrag bei youtube hingewiesen. Dr. Eckart von Hirschhausen ist ein Kabarettist der besonderen Art: Seine Auftritte verbinden Kabarett mit Motivationstraining und Gruppentherapie, wie er an einer Stelle selber ironisch anmerkt. Hier nun seine Gutenachtgeschichte, die ich nur als ausgezeichnete Lebenshilfe bezeichnen kann:

Natürlich tauchten bei mir wieder weitere Fragen auf, nachdem ich das Video zum wiederholten Male gesehen habe:

Was, wenn der Pinguin gar nicht weiß, was sein Element ist?
Wenn er bisher nur die Wüste kannte, und sich gar nichts anderes vorstellen kann?
Ganz einfach: als Erstes muß er nur erkennen, daß die Wüste NICHT sein Element ist. Alles weitere folgt ganz von alleine. Und zu eben dieser essentiellen Erkenntnis kann und wird obiges Video verhelfen.

In diesem Sinne grüßt mein Pinguin jetzt euren Pinguin und wünscht euch viel Zeit in eurem Element.

Die Michelsuppe

Warum ist Freiheit eigentlich so schwer zu verstehen?

Wenn jeder seine eigene Suppe würzen darf wie er will, ist das wunderbar und jeder möchte gerne diese Freiheit haben. Gleichzeitig kommt aber die große (und irrationale) Angst auf, jeder könnte plötzlich auch die Suppe des anderen würzen. Das gehört natürlich verboten! Woher kommt diese Angst? Aus dem Nichtverstehen von Freiheit.
„Freiheit ist immer auch die Freiheit des anderen“.
Durch jahrzehntelange Indoktrinierung hat Michel völlig verlernt, was Individualität bedeutet und daß er selber ein Individuum ist. Dafür hat er gelernt, sich nur noch als Teil der Gesellschaft zu verstehen.
Die fatale Folge davon ist ein völlig verzerrtes Bild von der Freiheit, welches sich leider immer wieder subjektiv bewahrheitet. Dazu eine kleine Geschichte:

Die Michelsuppe

Da ist ein großer Topf Suppe für die Gesellschaft. Unsere Gesellschaft besteht in diesem Fall mal aus 10 kleinen Micheln. Während mit den Hauptzutaten der Suppe alle größtenteils einverstanden sind, gehen die Geschmäcker die Gewürze betreffend doch gravierend auseinander.

Nun ist es natürlich am naheliegendsten, die Suppe größtenteils ungewürzt zu lassen, damit jeder sich seinen Teil in seinem eigenen Teller würzen kann.
Genau dieser naheliegende Gedanke ist den Micheln aber im großen Kochkurs aberzogen worden. Einfach durch Nicht-Erwähnen, auch Ignoranz genannt. Und da Michel dazu neigt nur zu lernen, was der große Koch ihm beibringt, kommt er auch nicht selber auf solche Gedanken. Wären solche Gedanken richtig oder gut, hätte der große Koch sie ihm ja beigebracht, oder?
Was also machen unsere Michel nun?
Anstatt sich jeder einen Teller von der Suppe herauszuschöpfen, taucht jeder von ihnen seinen Löffel in den Topf, probiert, und stellt fest daß etwas fehlt oder etwa zu viel ist.

Michel 1 stellt fest daß etwas Salz fehlt und salzt nach.
Michel 2 stellt fest daß sie nicht scharf genug ist und pfeffert kräftig.
Michel 3 stellt fest daß sie zu salzig aber nicht scharf genug schmeckt, verdünnt sie also mit weiterem Wasser und pfeffert nochmal kräftig.
So gibt erst einmal jeder Michel seinen Beitrag in den Topf. Dann geht das Probieren von Neuem los und erstaunt stellt jeder Michel fest, daß die Suppe ja jetzt wieder – oder immer noch – völlig anders schmeckt, als er sie gewürzt hat. Also wird wieder jeder Michel seinen Beitrag zu dem Topf leisten.
So kann das jetzt noch stundenlang weiter gehen und immer wird einer der Michel etwas zu verdünnen oder nachzuwürzen finden. Irgendwann ist die Suppe vermutlich kalt und völlig ungenießbar, während die Michel immer noch mit knurrenden Mägen daran rumwürzen oder entwürzen.

Spulen wir doch mal wieder zum Anfang. Der Topf Suppe bleibt, aber einen der 10 kleinen Michel ersetzen wir durch einen .. hmmm, nennen wir ihn mal Milton. Wir haben also 9 kleine Michel, einen kleinen Milton und einen großen Topf Suppe.
Der einzige Unterschied besteht darin, daß Milton zwar auch den großen Kochkurs belegt hat, dabei aber nicht verlernt hat, selber zu denken.
Vermutlich wird Milton sich einen Teller aus dem großen Topf abschöpfen, ihn seinem Geschmack entsprechend würzen und genüßlich aufessen, während er den Micheln beim Verderben des Topfes zusieht.
Nun ist Milton der Einzige, der satt geworden ist und auch noch behauptet, die Suppe habe ihm sehr gut geschmeckt.
Die Michel, die irgendwann entnervt und verzweifelt nach massenhaften gegenseitigen Schuldzuweisungen die verdorbene Suppe weggeschüttet haben, werden ihm vermutlich nicht glauben können. Sie haben doch alle 9 festgestellt, daß die Suppe ungenießbar war. Sie sind frustriert und hungrig, und wenn sie etwas jetzt am wenigsten brauchen können, ist das ein satter und zufriedener Zeitgenosse, der ihnen noch dazu erklärt, was sie falsch gemacht haben. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Bei der nächsten Suppe werden sie vermutlich versuchen, Milton daran zu hindern sich seinen Teller aus dem Topf zu holen, solange die Suppe nicht von allen kollektiv fertig gewürzt wurde. Nur um recht zu behalten und nicht an ihrer eigenen Vernunft zweifeln zu müssen.
Zuerst durch Überzeugungsarbeit mit Argumenten wie ‚Wir alle essen von der Suppe, also müssen wir sie auch gemeinsam würzen‘.
Sollte das nicht fruchten, folgt Stufe 2: ‚Du kannst die Gewürze jetzt nicht haben, um deinen Teller zu würzen. Die braucht die Gemeinschaft für den großen Topf!‘
Und wenn das auch nicht hilft, können 9 Michel einen einzelnen Milton immer noch mit Gewalt daran hindern, seinen Teller vorzeitig zu füllen. Womit wir endlich wieder bei der Demokratie wären.
Und dann wundern sich die Michel, wenn Milton zukünftig weder mit ihnen gemeinsam kocht noch ißt, sondern sich aus der herrlichen Gemeinschaft zurückzieht.

Sicher, sie könnten auch von ihm lernen, aber das werden sie vermutlich nicht. Es widerspricht doch jeder Logik, daß einer von 10 recht hat und 9 sich irren. Auch das haben sie im großen Kochkurs gelernt.